Eine Barrikade in der Ruine sorgt für zügellose Aufstände von Topstars

Hass, Tod und Gewalt herrscht in Bad Hersfeld! Ein Gemetzel namens „Les Miserables!

Das riesige Portal der Stiftsruine lässt nur annähernd erahnen, was die Besucher in diesen ehrwürdigen Mauern erwartet. Man betritt das „Schiff“ der Ruine und sieht herab auf unzählige Stuhlreihen. Vorne ragt der dreifach gebogene Innenraum der Ruine empor, beeindruckend, bombastisch, majestätisch. Das „Drama“, das sich hier in wenigen Minuten abspielt hätte sich keine passendere Location wünschen können.

Mit der hymnischen, warnenden und doch so fröhlichen Ouvertüre startet das leicht gekürzte opernhafte Musical „Les Miserables“. Beide Akte werden dadurch in einem Stück durchgespielt, es gibt keine Pause. Auch gut. Die Kürzungen sind gut gesetzt, hat doch Schauspiellegende Helmut Lohner selbst die Regie übernommen. Man vermisst als eingefleischter LesMis-Fan nicht wirklich etwas an Handlung. Ausgezeichnet gelungen!

Jeder Platz ist besetzt, die Auslastung des „Theaters“ kann sich sehen lassen und Opernproduktionen, die dort ebenfalls im Wechsel die Ruine beschlagnahmen können hiervon nur neidvoll träumen. Aber Les Miserables ist nun einmal ganz großes emotionales Musiktheater. Das Stück von Claude Michel Schönberg und Alain Boublil, unter Vorgabe des Weltliteratur Romanes „die Elenden“ von Victor Hugo, ist seit seiner Existenz das gefragteste Musical überhaupt. Uraufführung feierte das Werk am 17.9.1980 in Paris. Seitdem ist sein Erfolg unschlagbar, die Geschichte tiefgründig, ergreifend, dramatisch und doch auch so wunderschön! Die Übersetzung ist Heinz-Rolf Kuntze wirklich hervorragend gelungen. Oftmals sind es lieblose, sinnverfälschte Übersetzungen, die prägnante Stücke sehr schnell blass scheinen lassen. Hier ist ein rundum gelungenes Werk entstanden. Man kann LesMis wieder und wieder in unterschiedlichen Inszenierungen und Besetzungen sehen, es wird immer zeitlos bleiben und die Menschen wie kaum ein Stück sonst erreichen und berühren.

Es läuft wohl so jedem Zuschauer ein gewaltiger Schauer über den Rücken, woran jedoch nicht nur die fröstelnden Temperaturen Schuld dran haben mögen. Es ist eine der schönsten und gelungensten Inszenierungen der letzten Jahre, die Bad Hersfeld mit „LesMis“ in der Szene gelungen ist.

Über den Inhalt wurde ausreichend berichtet. Hier aber, weils so schön ist, nochmals eine Kurzfassung:

Toulon im Jahre 1815: Der Sträfling Jean Valjean, Nummer 24601, wird aus dem Zuchthaus entlassen. 19 Jahre hat er dort abgesessen. Endlich entlassen verfolgt ihn sein Widersacher und ständiger Kontrahent Polizeiinspektor Javert. Valjean kann sich im Laufe der Jahre trotzdem etablieren, schafft es sogar zu einem Bürgermeisteramt. In dieser Funktion lernt er die kranke Fantine kennen, eine Prostituierte, die ihr Kind, Cosette bei einem Wirthausehepaar Thenardier zur Pflege hat. Nach deren Tod nimmt sich Valjean Cosette an. Er wird sozusagen zu ihrem Vater, im Nacken stets Javert, der es sich zum Lebensziel gesetzt hat, Valjean wie ein Tier zu jagen und zu vernichten.

Die Jahre vergehen und Cosette wird zu einer jungen Frau. Sie lernt Marius, einen Studenten kennen. Marius gehört einer Studentenvereinigung an, die für das Recht und die Freiheit Frankreichs Barrikadenkämpfe planen. Beide verlieben sich ineinander. Wäre da nicht noch Eponine, die Tochter der Wirtsleute Thenardier, die sich ebenfalls in Marius verliebt hat. Letztlich muss sie kapitulieren, ist doch sein Herz längst vergeben.  Trotzdem stirbt sie glücklich in den Armen ihres geliebten Marius als Erste den „Barrikadentod“.

Javert hat Valjean verfolgt und gefunden. Seine hasserfüllte Wut auf diesen Mann  kennt keine Grenze. Inmitten der Kämpfe erwischt ihn Javert mit dem schwerverletzten Marius. Valjean verspricht ihm freiwillig zurück zu kommen und sich zu stellen, nachdem er Marius in Sicherheit gebracht habe. Doch Alles endet anders. Javerts Spitzelaktivität wird von den Studenten aufgedeckt. Valjean bittet um dessen Auslieferung- doch anstatt ihn zu töten lässt der ihn laufen. Javert ist verzweifelt über so viel Großmut und flüchtet sich in einen Selbstmord, dem Sturz in den Fluss Seine. Aber Valjean blieb nicht unbeobachtet auf seiner Flucht mit Marius. Mr Thenardier hatte Marius in einem ungeachteten Moment um ein wichtiges Indiz, einen Ring, beraubt.

Marius und Cosette stehen inmitten ihrer Hochzeitfeier, als das Wirtshauspaar Thenardier ungeladen auftaucht und mit Hilfe des Ringes die Wahrheit ans Licht bringt. Gierig wie sie sind, wollen sie für diese Informationen Profit herausschlagen. Marius fällt es wie Schuppen von den Augen, dass Valjean ihm das Leben einst auf den Barrikaden rettete und verscheucht erbost das gierige Paar von der Feier. Dann eilen er und Cosette zu Valjean um ihm davon zu berichten, doch dieser liegt bereits im Sterben. Als Nachlass hat er ein „Geständnis“ verfasst. Glücklich, befreit und sein Leben mit Frieden abgeschlossen stirbt er schließlich.

Die Geschichte spricht für sich und doch kommt man nicht umher über diese Inszenierung näher zu berichten. Es liegt wohl daran, dass es Bad Hersfeld gelungen ist die perfekte Besetzung zu engagieren. Allen voran glänzen Olegg Vynnyk als Jean Valjean und Norbert Lamla als Inspektor Javert durchgehend. Kein Ton, keine Aktion wird ausgelassen um Texte und Melodien überzeugend zu präsentieren. Man ist gebannt, stehen beide auf der Bühne. Sie ergänzen sich glaubhaft, unterscheiden sich stimmlich jedoch zu jedem Zeitpunkt. Gerade im „doppelten Schwur“ können beide Stars die Spannung glaubhaft erzeugen und halten. Klar, dass „Sterne“ von Norbert Lamla gerade in dieser Kulisse mit offenen „Sternen-Himmel“ ein Volltreffer ist. Es hallt und kommt an, kein Winkel der Ruine ist sicher vor seiner Stimmgewalt. Höhepunkt des zweiten Aktes ist unumstritten „Bring ihn heim“ von Olegg Vynnyk. Er hat ja schon in LesMis Inszenierungen in Berlin und  St. Gallen die Rolle verkörpert. Es ist die Rolle, die Vynnyk Zeit seines Lebens als Musicaldarsteller geprägt hat. Er strapaziert mit dieser Ballade immer wieder die Gemüter der Zuhörer, die sich letztlich jedoch eingestehen müssen, dass sie zutiefst berührt wurden.

Neben diesen Hauptprotagonisten vervollkommnen renommierte Darsteller wie u.a. Barbara Köhler (Fantine), Eva Aasgaard (Cosette), Ivar Helgason (Enjolras), Patrick Schenk (Marius), Janina Goy (Eponine) Sanni Luis (Mrs Thenardier) und viele Andere mehr die Besetzungsliste. Allesamt hervorragende Schauspieler und begnadete Sänger- sticht hier aber besonders Barbara Köhler mit ihrem rauchig-dramatischen Mezzosopran hervor. Eva Aasgaard bietet „Paroli“ mit ihrem glasklaren Sopran und einem feinen Gespür für wundervolles Schauspiel. Ivar Helgason mausert sich überzeugend zum Rebellen, nachdem er stimmlich als „Franzl“ in Elisabeth lange genug zurückstecken musste. Patrick Schenk als Marius (zuletzt Sky in Mamma Mia) und Janina Goy ergeben ein wunderschönes sich flachsendes Paar ab, schauspielerisch eine Augenweide. Ja und da wäre auf jeden Fall noch Sanni Luis erwähnt, die der Mrs Thenardier einen überzeugend schmierigen und gierigen Touch verleiht. Ihre komödiantische „dreckige“ Art zieht trotz des Dramas die Lacher aus den Kehlen der Zuschauer. Sie ist ein Kracher und Brüller, einfach fantastisch.

Was ist zur Bühnenausstattung zu sagen? Das Stück in dieser Umgebung spricht ja schon selbst für sich und trotzdem hat man sich nicht auf einen mageren Requisitenfundus verlassen. So sind alle wichtigen und ausschlaggebenden Details liebevoll und sinnvoll eingesetzt worden. Klar, Allem voran dominiert hier die gewaltige Barrikade, die teilbar auf der Bühne beeindruckt und das Drama in seiner kompletten Bandbreite betont. Auch die Kostüme sind wunderschön anzusehen. Sie tragen bei dieser Inszenierung nicht auf sie lenken nicht ab und dennoch entsprechen sie ganz den Vorstellungen, die man als Zuschauer erwartet.

Ja, LesMis Bad Hersfeld kann man durchaus als ein Gesamtkunstwerk betrachten.

Abschließend muss noch geschrieben werden: ob nun Chor, Ensemble, weitere Solisten oder Orchester, mit dieser Inszenierung hat Bad Hersfeld höchstes Musicalniveau bewiesen, was für die Besucher, die das Stück erleben durften unvergesslich bleiben dürfte. Es ist bedauerlich, dass das Stück 2008 nicht mehr zur Aufführung kommen kann, aber wie so oft leiden wegen organisatorischen und verwaltungstechnischen, internen Gründen letztlich die Darsteller und ihre Inszenierungen darunter.

Man darf gespannt sein, welches Stück 2008 Einzug in die Ruine halten wird und ob es an Erfolge wie Jesus Christ Superstar oder eben wie jetzt Les Miserables anknüpfen kann.

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