La Traviata – im Theater… halbes Desaster… mit Schauspielmaster(n)!

„Spüren Sie den Unterschied? Es ist das Gleiche nur das Gegenteil“ so Schauspieler Thomas Peters  alias David Ruskin, Dirigent des Orchesters. Der Satz drückt aus, was die Theaterbesucher in den folgenden knappen eineinhalb Stunden im Staatstheater am Gärtnerplatz in München erwartet: eine Mischung zwischen amüsantem „Chaos“ präsentiert von hervorragenden Schauspielern. „Orchesterprobe La Traviata III. Akt“ nennt sich das Stück, das Peters gleichzeitig inszenierte. Witzig schon der erste Eindruck, wenn man das Programm in den Händen hält. Hier werden die fiktiven Darstellerfiguren wie in reellen Programmheften mit einer ausführlichen Vita vorgestellt.

Kurz umschrieben: Dirigent Ruskin findet sich im Orchestergraben zur Probe ein, in dem im Übrigen das Publikum sitzt, das somit aus lediglich etwa 55 Menschen besteht. Es „agiert“ sozusagen als Orchester. Dann ist da Regisseur Peter C. Hiller,  gespielt von Marcus Morlinghaus, sowie die junge Sängerin Sibylla Duffe (Theresa Marianos). Beide haben sich längst zur Probe eingefunden als endlich auch – realistisch „diva-like“ verspätet- die Diva June Preston (Marianne Larsen) erscheint. Ihre Verspätung kommentiert sie im Übrigen damit, indem sie erfreut verkündet, dass sie „gekiddnapped wurde“… Die Probe kann losgehen… wenn es doch so einfach wäre. Während Regisseur Hiller versucht den Beteiligten den Ablauf mitzuteilen, unterbricht ihn Dirigent Ruskin und kommentiert gedankenversunken die Ouvertüre des Stückes, als auch schon die Diva am wackeligen Bühnenbild rummäkelt, kurz darauf ihr Handy zückt und völlig selbstbewusst mit ihrem Agenten telefoniert. Einzig die junge Sängerin bringt vorbehaltlos Motivation, Begeisterung und Engagement mit.

Im Grunde genommen „kämpft“ sich das Stück durch die verschiedensten Charaktere und Eigenheiten der Akteure, die am Ende auf ein einziges Ziel hinarbeiten- die „La Traviata“ zur Aufführung zu bringen. Der ehrgeizige und korrekte Dirigent kämpft für die Akzeptanz seiner Arbeit, Arbeitsweise und Interpretation der Partitur. Ebenso der Regisseur, der hauptsächlich seine Vorstellungen und Kreativität in dem Stück durchsetzen will. Die Diva – wäre keine Diva – wenn sie nicht an allem etwas auszusetzen hätte und ihre Nase höher trägt als es die Theaterdecke zulässt. Und letztlich ist da die junge Sängerin, die versucht  Alles zu kommentieren und Jedem ihre Ansicht mitzuteilen und Zuspruch zu vermitteln.

Es ist wie im wahren Leben. Jeder versucht seine Interessen rücksichtslos durchzusetzen. Die Stimmung schwankt, kippt um und schon kämpft man gegen menschliche Verletzlichkeit und Heulkrämpfe an. Doch das Interesse am gemeinsamen Ziel siegt  und so „raufen“ sie sich am Ende alle Beteiligten zusammen und die „Traviata“ kann eine euphorische Premiere feiern.

„Orchesterprobe La Traviata III. Akt“ präsentiert aus der Orchestergrabenperspektive einen Einblick in den Probenalltag auf eine wohl einzigartige und humorvolle Weise. Lebendiges Theater, so ließe sich diese Inszenierung wohl am treffendsten beschreiben. Dies ist natürlich den durchweg fantastischen Schauspielern zu verdanken, die es gekonnt und hervorragend verstehen, ihre eigenwilligen Charaktere in Szene zu setzen und glaubhaft erscheinen lassen. Die Dialoge wechseln sich mit der Musik ab, die vom Band eingespielt wird und bei der sich das Licht absenkt, dann, wenn das „Orchester“ versucht diverse Takte umzusetzen.

Das Szenario spielt sich also nebst Dirigentenpult auf der vorderen Bühne, den seitlichen Stegen und in der ersten offiziellen Zuschauerreihe ab. Die Monologe und Dialoge wandeln das Theaterstück in eine Komödie, wenn Ruskin sein Orchester mit Texten wie  „Erst Denken, dann einsetzen!“, „nicht so fröhlich, nicht hüpfen, das ist kein Karneval“ kommandiert. Man kann ein Lachen einfach nicht unterdrücken. Kaum Pause zum Luftholen, denn im nächsten Moment wirft er dem Regisseur Sätze wie „ Du gibst ihr eine Ohrfeige… sie braucht das!“ zu. Aber auch kleine Eifersüchteleien lassen nicht auf sich warten. Sei es denn, dass die Diva Platzangst bekommt, als die junge und talentierte Sängerin ihr zu nahe auf den Pelz rückt. Kurzum kommandiert sie die Nachwuchssängerin weit weg in die Ecke auf der Bühne. Dem Dirigenten platzt der Kragen, er verlässt kommentarlos sein Pult, rauscht zwischen den Musikern hindurch, hinaus aus dem Orchestergraben und lässt es sich nehmen, die Türe heftig zuzuknallen. Der Regisseur ist nahe „Genie und Wahnsinn“. Er kann das Gezicke nicht weiter ertragen, brüllt folgedessen den beiden Sängerinnen Anweisungen und Befehle auf der Bühne zu, denn seines Erachtens sind die Bewegungen der Hände nicht perfekt. Es kommt, was kommen muss, nun taut auch die junge Sängerin auf und verstrickt sich in eine heftige Diskussion mit dem Regisseur, bis dieser einfach geht. Sie ist überzeugt „die Hände“ waren perfekt. Alleine auf der Bühne, denn selbst die Diva hat längst das Schlachtfeld verlassen,  philosophiert sie vor sich hin und beschließt sich nicht mehr Vorschriften und Normen zu unterwerfen, sondern von nun an sich allen Regeln zu widersetzen und das „Getue“ am Theater fortan zu ignorieren.

Das „Orchester“ sitzt nun alleine im dunklen Theater und wartet auf weitere Anweisungen, von wem auch immer, als die Diva erscheint. Zunächst über die „Leere“ irritiert schlussfolgert sie diesen Zustand als vermutlichen Streik. Dann aber ergreift sie ihre Chance und beginnt das Orchester einzulullen indem sie fragt, ob die Musiker es nicht auch so empfinden, dass in der einen oder anderen Passage ihre Solostelle zu langsam gespielt würde. Sie manipuliert gekonnt das Orchester, steigt kurzum aufs Dirigentenpult und gibt Anweisungen, gerade so, wie es ihr passt, bevor sie sich glücklich aus dem Graben schleicht. Schon erscheint Ruskin mit der Frage „Naaa? Was hat sie Ihnen erzählt?“ Der Lacher bricht in eine noch größere Lachsalven aus, als die Diva in einem mehr breiten als langen, absolut „farbenprächtigen“ Kostüm erscheint und mit dem sonnenschirmähnlichen Rock den Steg versucht hinab zu schreiten.

Die Probe geht weiter und auf einmal geschieht das Unfassbare. Die Diven liefern einen hervorragenden Job. Der Regisseur fragt sich, was er hier eigentlich noch mache und verlässt fassungslos den Raum, weil er der Ansicht ist überflüssig zu sein. Ebenso fehlen dem Dirigenten die Worte, er folgt Hiller ohne Einwand. Da stehen sie also, die beiden Diven und brechen in Lachen aus. Die Beiden nähern sich und beginnen einmal nicht wie Katz und Maus miteinander zu sprechen, sondern loben sich gegenseitig, geben sich Tipps. Sie beginnen zur großen Belustigung des Publikums Sprechübungen der besonderen Art unter vollem Körpereinsatz auszuüben, wobei sie mit beiden Händen im Mund – um ein größeres Stimmvolumen zu erzeugen – singen.

Die Premiere beginnt. Im eleganten Frack hebt Ruskin den Taktstock… die Diven positionieren sich, die nicht schwindelfreie Diva auf dem wackeligen Steg, die junge Sängerin setzt einen theatralischen Blick auf mit der perfekten Haltung der Hände, der Dirigent zieht die Mundwinkel angestrengt und konzentriert nach unten, der Regisseur hat Platz genommen… was folgt: Applaus aus dem Orchestergraben!

Wie bereits geschrieben, durchgehend fantastische Schauspieler unterhalten auf amüsante und charmante Weise knappe eineinhalb Stunden das Publikum mit einer hinreißenden Perfomance. Sie schaffen es, die Pointen punktgenau zu setzten und die Zuschauer mitzureißen. Es ist schon eine ganz ungewöhnlich-wunderbare Atmosphäre in diesem Orchestergraben zu sitzen und das Schauspiel vor einem Notenpult sitzend zu verfolgen. Die Inszenierung von Peters ist wirklich grandios gelungen.In diesem Mann stecken einfach viele Talente. Es ist immer wieder eine Freude seine Arbeiten neben denen als Schauspieler und Musicalsänger zu sehen. Es gelang ihm abwechselnd mit Humor auch die dahinter steckende Ernsthaftigkeit zu vermitteln und eine Probensituation glaubwürdig und realistisch mit einem dezenten Sarkasmus wider zu spiegeln. Bravo für diese hervorragende Leistung. Bravo den Protagonisten des Abends. Nicht zu vergessen ist die grandiose Idee, das Orchester zur Nachbesprechung in die Theaterkantine einzuladen. Dieses Angebot wurde doch zahlreich und gerne angenommen. Ein außergewöhnlicher Abend voller Humor und einer tollen Inszenierung ging zu Ende. MFJ kann „Orchesterprobe La Traviata III. Akt“ wärmstens empfehlen. Da wie beschrieben die Zuschaueranzahl sehr begrenzt ist, sollte man rasch Karten reservieren.

Lieber Thomas, vielen lieben Dank für die Fotos!!!

Marina Christiana Bunk, 7.12.2008

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