Die ganze Welt ist Schach – Chess-Premiere in Chemnitz

Frederick Trumper Patrick Stanke/  Schiedsrichter Mischa Mang /Anatoly Sergievsky Matthias Otte

Frederick Trumper Patrick Stanke/ Schiedsrichter Mischa Mang /Anatoly Sergievsky Matthias Otte © Dieter Wuschanski

Wir schreiben das Jahr 1979. Die Welt hält den Atem an, während sich der politische Drahtseilakt des Kalten Kriegs auf ein Schachbrett zu verlagern scheint. Ein Amerikaner und ein Sowjetrusse treffen für die Schachweltmeisterschaft aufeinander. Beobachtet werden sie von der ganzen Welt. Ein „Krieg im Kleinen“ entsteht – von der Weltpolitik auf das Schachbrett.

Großartiger, wenn auch komplexer Stoff, den Tim Rice zusammen mit Benny Andersson und Björn Ulvaeus, zwei ehemaligen Mitgliedern der Popgruppe ABBA, zu einem Musical verwob. Beruhend auf einer wahren Geschichte, dem „Schachspiel des Jahrhunderts“ 1972 in Reykjavik, spinnt Rice eine fesselnde Story um Schach, Politik und Moral.

1986 wurde das Stück nach einer CD-Einspielung in London uraufgeführt und dort zum Erfolg. Wenn man die täglichen Nachrichtenmeldungen aus aller Welt verfolgt, ist das Thema heute vielleicht genauso aktuell wie zu seiner Entstehungszeit. Ein genialer Schachzug der Theater Chemnitz, es in so namhafter Besetzung auf die Bühne zu holen.

Die Premiere am 10. Oktober 2015 ist ausverkauft. Das Publikum gespannt auf die neue Inszenierung.

Die Hauptrolle des amerikanischen Schachmeisters spielt Patrick Stanke, bekannt aus Stücken wie 3 Musketiere, Mozart! oder Artus. Er liefert eine gesanglich starke Leistung ab, die kleine Erkältung am Premierenabend bleibt unbemerkt. Besonders im ersten Akt brilliert er durch sein arrogant-lässiges Auftreten als Frederick Trumper, dem es sicher nicht an Genie, aber auch nicht an Eigenliebe mangelt.

Seine Partnerin ist Roberta Valentini, die zuletzt auch als Kaiserin Elisabeth im gleichnamigen Musical glänzte. Sie spielt Trumpers Geliebte und Managerin Florence Vassy, die mit ihren ungarischen Wurzeln auch eine persönliche Verbindung zur Sowjetunion hat. Wenn auch keine besonders positive. Roberta Valentini gelingt es mühelos, jede Facette ihres Charakters glaubhaft darzustellen. Ihr Spiel ebenso wie ihr Gesang ist überragend und hebt sie positiv hervor.

Frederick Trumper Patrick Stanke/  Schiedsrichter Mischa Mang /Anatoly Sergievsky Matthias Otte

Frederick Trumper Patrick Stanke/ Schiedsrichter Mischa Mang /Anatoly Sergievsky Matthias Otte © Dieter Wuschanski

Neben diesen beiden sehr starken Hauptdarstellern steht Matthias Otte, der dritte im Bunde, als Anatoly Sergievsky, sowjetischer Großmeister und Herausforderer von Frederick Trumper. Er zeigt sich als exzellente Wahl. Sein Charakter ist weniger einnehmend und in den Vordergrund drängend als Trumper, aber Otte bleibt keineswegs hinter seinen Kollegen zurück. Durch sein gefühlvolles Spiel sowie seine sanfte Stimme bleibt er dem Publikum gut im Gedächtnis.

Begleitet wird Sergievsky von dem undurchsichtigen KGB-Mann Molokov, verkörpert von Matthias Winter, der wie eine übergroße Spinne seine Fäden zu ziehen scheint. Sein Ziel ist weniger der Weltmeistertitel seines Landsmannes, als vielmehr der Triumph seiner Nation über die verhassten USA. Matthias Winter gelingt es, diese Charakterzüge sehr gut darzustellen. Auch gesanglich gibt es nichts auszusetzen. Ein passender Gegenspieler.

Mischa Mang gibt den Part des Schiedsrichters und Erzählers und ist die einzige Figur, bei der sich die Geister scheiden. Gesanglich und schauspielerisch solide, ist es vielleicht seine Rolle, die es ein wenig schwer macht, wirkliche Sympathien zu entwickeln.

Thomas Winter hat mit dieser Inszenierung besonders bühnentechnisch alle Register gezogen. Viele kleine Details heben die einzelnen Szenen hervor und verleihen ihnen Authentizität und Charme. So schwebt beispielsweise bei dem Treffen zwischen Sergievsky und Florence Vassy eine Seilbahn von einer Bühnenseite zur anderen und unterstreicht das Alpenflair.

Eine besonders fesselnde Idee ist es, das Schachspiel zwischen Trumper und Sergievsky mit Hilfe von Balletttänzern lebendig werden zu lassen. Die Figuren erwachen zum Leben und zeigen im vorderen Teil der Bühne einen kämpferischen Tanz, während die Kontrahenten dahinter konzentriert auf ihr Schachbrett starren. Schwarz tanzt gegen Weiß – wenn am Ende ein Team unterliegt, verändert sich der auf die Bühne projizierte Spielstand.

Ebenso lobend muss das umfangreiche und gut harmonierende Orchester der Theater Chemnitz erwähnt werden, wenn es auch teilweise zu laut erscheint und die Songtexte schwer verständlich macht. Überhaupt scheint an diesem Premierenabend der Ton noch nicht perfekt abgestimmt. So gibt es besonders in den Chorstücken immer wieder Probleme bei der Verständlichkeit der Texte – ein kleines Manko, das vielleicht auch auf das Premierenfieber zurückzuführen ist. Dennoch schmälert es diesen wundervollen Abend nicht im Geringsten.

Frederick Trumper Patrick Stanke  /

Frederick Trumper Patrick Stanke © Dieter Wuschanski

Der zweite Akt wird mit dem bekannten Hit „One Night in Bangkok“ (Tauch ein in Bangkok) eröffnet. Im Vergleich zum eher monotonen Bild des ersten Akts ein drastischer Stilbruch. Schnell wird klar: der Blickwinkel hat sich gewandelt. Nicht länger steht das Schachspiel im Mittelpunkt, sondern vielmehr wird es Mittel zum Zweck. Jede Seite will gewinnen, jeder will seine Ziele durchsetzen und benutzt das Spiel um die Weltmeisterschaft dafür. Die Charaktere werden Figuren in einem viel größeren Spiel. Frederick Trumper kehrt, nachdem Sergievsky ihn im vergangenen Jahr schlug und danach in die USA überlief, als Reporter zurück. Sergievsky und Vassy, seit einem Jahr ein Liebespaar, kämpfen jeder ihre eigene Schlacht. Molokov, als Begleiter des sowjetischen Herausforderes Viigand, verfolgt seine eigenen politischen Ziele. Er bringt Sergievskys Frau, die dieser vor einem Jahr in Russland zurückließ, wieder ins Spiel: Wenn Sergievsky gewinnt, wird es seine Familie nicht leicht haben. Florence Vassy setzt er ebenso unter Druck: Damit ihr Vater lebt, muss ihr Geliebter die Partie verlieren. Auch Frederick Trumper soll ihm dabei helfen, blitzt bei Florence aber ab.

Die Lage spitzt sich zu. Sergievsky bekommt Druck von allen Seiten: Seiner Frau, seiner Geliebten, seinen Feinden Molokov und Trumper. Dagegen steht sein Ehrgeiz zu siegen, seine Ehre als Schachspieler, seine Moral. Die Spannung entlädt sich in einem einzigen Moment, wenn Sergievsky die Entscheidung über Sieg oder Niederlage fällen muss. Aber ist die Welt wirklich entweder schwarz oder weiß?

Tobender Applaus beendet die Premiere. Das Publikum ist durchweg begeistert und will die Schauspieler lange nicht von der Bühne lassen. Jubelrufe branden auf und fast der gesamte Saal spendiert Standing Ovations an das großartige Ensemble.

Wie schon bei „Flashdance“ zeigt Chemnitz eine äußerst gelungene Inszenierung und entwickelt sich immer mehr zum Geheimtipp der Musicalszene. Einen Besuch sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen.

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