Mord und Intrigen bei der Medienpremiere „Chicago“ in Stuttgart

Als erstes stellt sich uns die Frage: Gibt es denn keine guten deutschen Hauptdarsteller mehr? Bei einer Produktion der Stage Entertainment erwartet man Perfektion in Reinform.

Doch bei dieser Medienpremiere am 05.11.2014 in Stuttgart waren wir enttäuscht. Nicht über die fabulöse Bühnenshow, die atemberaubenden Kostüme (und die sehr, sehr kurz und durchsichtig geratenen Kleider, Hosen und Hemden). Auch nicht über die tänzerisch ausgereiften Choreografien und die schauspielerisch starken Darsteller. Nein, es war vielmehr enttäuschend dass gerade die Hauptdarsteller durch ihre sehr starken Akzente sehr schlecht verständlich waren. Sind die vielen Schüler, die jährlich die deutschen Musicalschulen abschließen, so schlecht, dass ausländische „alte Hasen“ geholt werden müssen die man dazu noch schlecht versteht?

Keine Frage, hätten diese Darsteller in ihren Muttersprachen glänzen können, wäre hier kein Grund zum Klagen gewesen. Leider jedoch ist es eben sehr schwer ein Stück wie Chicago, das durch sehr viel Sprechtext und textreiche Lieder seine Geschichte erzählt, in einer Sprache wieder zu geben, die nicht die Muttersprache ist und offensichtlich von einigen Darstellern überhaupt nicht gesprochen wird.

Es ist nicht weiter tragisch kurze Zwischenrufe mit starkem Akzent zu hören. Wohl aber über das gesamte Stück ist es definitiv bedrückend, dauerhaft sehr angestrengt zuhören zu müssen um die Hauptdarsteller, sowohl akustisch als auch verbal, zu verstehen. Ganz entgegen der sonst üblichen extremen Lautstärke im Theatersaal, war sowohl die Musik als auch die Sprache sehr leise.

Wir wollen hier weder das Stück noch den wundervollen Abend schlecht reden. Jedoch ist es unumstritten, dass gerade die Stimme des Darstellers seiner Rolle den Ausdruck verleiht. Daher sollte man auch verstehen was die jeweilige Person spricht.

Dennoch konnte das Stück sehr gut unterhalten und aufgrund zahlreicher, vorheriger Besuche verschiedener Chicagoshows in anderen Ländern, sowie der Sichtung des Filmes, war durchaus klar worum es ging. Daher gab es folglich auch keine Probleme der Story zu folgen. Einzig fiel es mit unter schwer das wundervolle Gesamtbild der Show zu genießen, da man als Zuschauer an den Lippen der Darsteller kleben musste, um sie zu verstehen.

Wie bereits geschrieben, die Bühnenshow, die Kostüme und das Gesamtbild ließen keine Kritik offen. Die Choreographie der Tanzszenen ist ein wahrer Augenschmaus und wird (bis auf wenige Male) wirklich perfekt umgesetzt.

Für alle, die nicht wissen, worum es im Stück geht:

Die Geschichte spielt im Chicago der 1920er Jahre und beginnt mit dem Mord der Vaudeville-Tänzerin Roxie Hart an ihrem Liebhaber Fred Casely. Am Tatort deckt ihr Ehemann sie, bis klar wird, dass sie ein Verhältnis mit dem Toten hatte. Roxie kommt zur Untersuchungshaft ins Gefängnis…

Dort begegnet sie der zweifelhaften Matron Morton, genannt „Mama“, die ihr das Leben im Gefängnis erklärt. Zellenpartnerin und ebenfalls Mörderin Velma Kelly, wurde einst durch „Mama“s Hilfe ein Star. Sie plant im Gefängnis eine Fortsetzung ihrer Karriere. „Mama“ schlägt Roxie den Rechtsanwalt Billy Flynn vor, bekannt dafür, dass er bisher nie einen Prozess verloren hat. Mangels Geld unterstützt sie ihr Mann und Roxie kann den Anwalt engagieren.

Die Boulevardjournalistin Mary Sunshine findet an der „Jazz-Mörderin“ Roxie Gefallen und verhilft ihr zu Popularität. Eifersucht ist vorprogrammiert: Velma überlegt, wie sie die Aufmerksamkeit wieder auf sich ziehen kann. Die Idee, Roxie in ihre Show zu binden, scheitert. Unabhängig voneinander erkennen Beide aber, dass sie auf sich selbst gestellt sind und niemandem sonst vertrauen können.

Diverse Lügen über Roxies Vergangenheit puschen ihre Karriere, anstatt ihr zu schaden.

Velma und Billy versuchen mit Hilfe einiger Tricks ihre Verhandlung zu begünstigen, doch der kluge Anwalt weiß diese Begünstigungen eher für  Roxies Fall einzusetzen, worüber „Mama“ und Velma selbstredend nicht begeistert sind.  

Gekonnt gelingt es Roxie aus dem Gefängnis freizukommen. Dennoch sind die Tage ihrer Karriere gezählt. Ein neuer, brisanter Fall weckt das Interesse der Öffentlichkeit. Roxie nimmt Velmas Idee, Teil ihrer Show zu werden, an und beide starten eine gemeinsame Karriere als gefeierte Jazz-Sängerinnen.

Zu den Hauptdarstellern:

Roxie Heart verkörpert von Carien Keizer: Die Holländerin ist ein wahres Energiebündel und eine begnadete Tänzerin. Ihre Roxie wächst von Minute zu Minute. Brilliant, wie sie die Szene im Gericht spielt. Leider ist ihre Aussprache noch relativ schlecht.

Velma Kelly, gespielt von Lana Gordon, kennt Chicago, den Broadway und spielt eine super coole Velma. Ihre Stimme ist wie geschaffen für diese Rolle. Aber wie bei Ihrer Kollegin Keizer ist auch sie leider sehr schlecht zu verstehen.

„Mama“ Morton wird von Isabel Dörfler, in Stuttgart bereits in zahlreichen Rollen zu sehen gewesen, gespielt. Sie ist eine Mama, die man mag. Sie kommt nicht so fies und geldgierig rüber, wie in manch anderen Produktionen. Aber mit eigenem Charme und Witz gelingt es ihr die Rolle überzeugend zu präsentieren. Stimmlich und schauspielerisch gehört Frau Dörfler zu den Top deutschen Musicaldarstellern.

M. Schäffner hat die Rolle der Mary Sunshine. Die Kurzen Auftritte sind perfekt umgesetzt. Stimmlich passt auch sie hervorragend in ihre Rolle und überzeugt!

Billy Flynn wird von Nigel Casey verkörpert. Man kann nur sagen: Umwerfend, wie Nigel Casey seinen Charme spielen lässt. Er passt perfekt in die Rolle des Mr. Flynn. Sein Aussehen, Schauspiel, Gesang, Humor… hier stimmt schlichtweg alles.

Volker Metzger ist in der Rolle des Amos Heart zu erleben. Auch er glänzt als schusseliger Bühnendarsteller und seine Art, wie er liebevoll eine Rolle des Betrogenen Mr. Heart spielt, ist einfach wunderbar. Auch hier kann man gratulieren. Wunderbar, ja, exzellent besetzt.

Chicago ist ein Musical, komponiert von John Kander und den Texten von Fred Ebb. Das Buch verfasste Fred Ebb zusammen mit Bob Fosse nach dem gleichnamigen Stück der Reporterin Maurine Dallas Watkins aus dem Jahr 1926.  Bob Fosse selbst übernahm darin Regie und Choreografie. Mit Chita Rivera und Gwen Verdon fand man die perfekte Besetzung der Hauptrollen in der Uraufführung.

Uraufführung des Stücks war am 3. Juni 1975 im 46th Street Theatre in New York. Insgesamt 936 Vorstellungen konnte das Musical zeigen, bevor die letzte Show am 27. August 1977 stattfand. Am 14. November 1996 feierte das Musical erneut im Richard Rodgers Theatre (New York) eine große Revival-Produktion-Premiere, die nach London auch direkt nach Wien gelangte. 1997 erhielt die Show sechs Tony Awards.

Übrigens ist nach Cabaret das Musical Chicago das bekannteste Musical von Kander und Ebb.

 

Die Stuttgarter (Haupt-)Darsteller:

Roxie Heart: Carien Keizer
Velma Kelly: Lana Gordon
„Mama“Morton: Isabel Dörfler
Mary Sunshine: M. Schäffner
Billy Flynn: Nigel Casey
Amos Heart: Volker Metzger

Ensemble:
Marcella Adema (Mona), Alan Byland (Fred Casely), Natalie Bennywoth (Hunyak),
Connor Collins (Geschworene), Rachel Colley (Annie), Alex Frei (Tänzer Steptanz & Ich und mein Baby), Julieta Anahi Frias (June), Philipp Hägeli (Sergeant, Richter), Zoe Leone Gappy (Liz), Ross McDermott (Aaron), Fleur Jagt (Kitty), Sean McFadden (Martin Harrison), Bryan Mottram (Harry)

Leider steht das Ensemble nicht mit der jeweiligen Rolle auf der Besetzungsliste, die auslag. Es wäre schön, wenn sich hier noch eine Verbesserung ereignen würde, denn den interessierten Musicalbesucher, nicht nur Fan, interessiert dies mit Sicherheit. Hier sollte man sich an NYC sowie  London orientieren, wo dies selbstverständlich so gehandhabt wird.

Wichtig erscheint noch darauf hinzuweisen: Der Merchandise Stand, der sehr provisorisch aufgebaut schien, wies das ein oder andere Produkt aus, welches jedoch noch nicht zu finden war. Zunächst darüber verwundert, dass es die deutschsprachige CD (Wien) nicht zu kaufen gab, war der Grund gleich nach Beginn der Show sofort klar: Bei so gravierenden Textänderungen konnte keine bereits aufgenommene CD verkauft werden. Da bleibt die Hoffnung, dass eine in Stuttgart produzierte CD zu erwerben sein wird.

Chicago ist ein MUSS für Jeden, der einen Hauch Broadway erleben möchte und eine perfekt ausgedachte sowie umgesetzte Choreographie zu schätzen weiss.

Zieht die Socken wieder hoch und ab nach Stuttgart für all den Jazz!

von Tanja Döbele und Jennifer Dieterich

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Eine Antwort auf Mord und Intrigen bei der Medienpremiere „Chicago“ in Stuttgart

  1. Lana Gordon sagt:

    such a wonderful journey..it was and look what GOD did with all this !,, now on BROADWAY!!!! GOD IS GOOD!!!

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